Der bunte Vogel
In einem großen Wald lebten ein Riese und ein Zwerg zusammen.
Sie waren sehr alt und von allen Riesen und Zwergen die letzten.
Jeder fühlte sich auf seine Art einsam, der eine laut, und der andere leise,
aber beide wünschten sich nichts so sehr,
als sich in eines jener Wesen zu verwandeln, die sich Menschen nannten.
Aber wenn du denkst, der Riese und der Zwerg hätten sich gegenseitig getröstet, dann irrst du dich.
Je älter sie wurden, umso mehr fingen sie an, einander zu quälen und sich das Leben schwer zu machen.
Der Riese zeigte dem Zwerg seine Riesenfäuste.
Er blies ihm seinen Atem ins Gesicht, oder er stemmte ihn in die Luft,
setzte ihn auf den Gipfel einer Tanne und sah lachend zu, wie er mühsam wieder hinunterkletterte.
Der Zwerg dagegen zeigte dem Riesen seine Zwergenzunge.
Er verspottete ihn mit Worten, oder er schlich ihn heimtückisch an,
zwickte ihn in die Waden und sah lachend zu, wie er vergeblich nach dem Übeltäter suchte.
Aber trotzdem blieben sie einer in des andern Nähe. Sie brauchten einander, weil sie sonst niemanden hatten,
den sie mit groben Fäusten ängstigen oder mit einer bösen Zunge kränken konnten.
Die Tiere des Waldes gingen den beiden schon längst aus dem Weg.
Eines Tages fanden sie einen winzigen Vogel.
Es war keine Amsel es war kein Specht, und es war kein Eichelhäher.
Er war grau und unscheinbar, ein Vogel ohne Namen.
Er lag auf der Erde und schaute sie mit seinen runden Augen bittend an.